Verwertung von verpfändeten Unternehmensanteilen oder Rechten im Insolvenzfall
Zentrale Hinweise aus der Praxis, die aufzeigen, wie sich Haftungsrisiken in der Umsetzung vermeiden lassen.
In der praktischen Verfahrensroutine wird das Sachenrecht nicht selten irrtümlich auf Rechte angewandt, was regelmäßig zu rechtswidrigen Fehlanwendungen führt. Die Verwertung verpfändeter Unternehmensanteile oder sonstiger Rechte unterliegt im Insolvenzfall einem klaren gesetzlichen Rahmen. Nach §§ 1228 ff. BGB ist die öffentliche Versteigerung (§ 1235 BGB) die gesetzliche Regelform – nicht der Freihandverkauf (§ 1245 BGB). Mit Verfahrenseröffnung entfällt die Anwendbarkeit des § 1245 BGB: Der Insolvenzverwalter ist nicht verfügungsbefugt (§ 80 InsO), der Verpfänder ebenfalls nicht. Ein Marktpreis besteht typischerweise nicht. Gibt es einen Markt oder Börsenwert, muss die Verwertung gemäß § 1221 BGB durch einen Handelsmakler oder von einer für öffentliche Versteigerungen befugten Person durchgeführt werden.
Kein freihändiger Verkauf nach § 1245 BGB im Insolvenzfall möglich
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 27.11.2022 – IX ZR 145/21 klargestellt, dass 166 (1) InsO ausschließlich auf physische Sachen Anwendung findet. Rechte – etwa Gesellschaftsanteile, Marken, Patente, ITDomains, Lizenzen – sind nicht besitzfähig. Damit fehlt dem Insolvenzverwalter grundsätzlich eine gesetzliche Verwertungsbefugnis; eine analoge Anwendung des § 166 (1) InsO scheidet aus. Die Verwertung verpfändeter Rechte obliegt allein dem Pfandgläubiger gemäß §§ 1273 ff. BGB i. V. m. § 1235 BGB (öffentliche Versteigerung).
Im Insolvenzfall ist der Verpfänder rechtlich gehindert, mit dem Pfandgläubiger eine Übereinkunft über eine freihändige Verwertung nach § 1245 BGB zu schließen, da seine Verfügungsbefugnis gemäß § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter übergeht.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann zwischen Pfandgläubiger und Insolvenzverwalter als Vertreter des Verpfänders demnach keine wirksame Übereinkunft über die Art der Verwertung verpfändeter Unternehmensanteile oder sonstiger Rechte geschlossen werden. Die Zustimmung zur freihändigen Verwertung nach § 1245 BGB ist nicht mehr erteilungsfähig, da der Insolvenzverwalter keine privatautonome Gestaltungsfreiheit besitzt (§§ 80, 166 InsO). Damit ist die öffentliche Versteigerung (§ 1235 BGB) im Insolvenzfall bei verpfändeten Unternehmensanteilen oder sonstigen Rechten die einzig zulässige und rechtskonforme Verwertungsform. Jede hiervon abweichende Vereinbarung ist nichtig (§ 134 BGB) und kann Haftungsfolgen (§ 60 InsO) für den Insolvenzverwalter und den beteiligten Pfandgläubiger auslösen.
Der Insolvenzverwalter darf weder eine neue rechtsgeschäftliche Zustimmung zur freihändigen Verwertung erteilen noch eine nachträgliche Übereinkunft mit dem Pfandgläubiger über die Verwertungsart schließen; ebenso wenig darf eine abweichende Verwertungsform (z. B. M&A‑Prozess, vertragliches Bieterverfahren oder Verkauf) vereinbart werden. Eine solche Übereinkunft wäre gesetzeswidrig und nichtig, da sie gegen die zwingenden gesetzlichen Verwertungsbestimmungen (§§ 1228 ff. BGB i. V. m. § 16 (1) InsO) verstößt.
Dies gilt auch bei Eigenverwaltung: Diese ändert nur den Verfahrensrahmen, nicht die gesetzlichen Verwertungsbefugnisse. Der Schuldner bleibt Verfahrensherr, handelt jedoch unter Aufsicht des Sachwalters (§ 274 InsO). Pflichten gegenüber absonderungsberechtigten Gläubigern und der Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 1 InsO) bleiben unberührt.
Der Insolvenzverwalter kann die Gläubigerversammlung zur Verwertungsart anhören. Nach dem BGHUrteil IX ZR 145/21 fällt die Verwertung verpfändeter Rechte ausschließlich dem Pfandgläubiger zu. Zuständig für die Wahl der Verwertungsart ist allein derjenige, dem die gesetzliche Verwertungsbefugnis zusteht. Die Anhörung entfaltet keine rechtsverbindliche Wirkung; eine Entscheidungsbefugnis der Gläubigerversammlung besteht nicht.
Nach Eintritt des Insolvenzfalls und Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters besteht die Pflicht zur unverzüglichen Verwertung. Verzögerungen können Schadensersatzpflichten begründen (BGH, Urt. v. 19. 03. 1981 – IX ZR 54/80). Die Verwertung hat öffentlich zu erfolgen (§ 1235 BGB), um Markttransparenz und faire Preisbildung sicherzustellen.
Ein Verzicht auf die Öffentlichkeitspflicht § 1237 BGB) ist ausgeschlossen; sie dient dem Schutz der Gläubigergesamtheit und der Rechtssicherheit des Verfahrens. Die Bekanntmachung nach § 1237 BGB betrifft ausschließlich die wesentlichen Versteigerungsdaten – insbesondere Ort, Zeit und Gegenstand der Versteigerung.
Vertrauliche Daten und sensible Unternehmensinformationen werden nicht veröffentlicht, sondern ausschließlich in einem gesicherten virtuellen Datenraum (VDR) bereitgestellt. Der Zugang erfolgt nur für zuvor geprüfte Interessenten nach Unterzeichnung einer Vertraulichkeitserklärung (NDA). Der Schuldner (Verpfänder) hat sich in der Regel bereits im Verpfändungsvertrag verpflichtet, im Verwertungsfall kooperativ mitzuwirken und die zur Durchführung der Versteigerung notwendigen aktuellen Unterlagen bereitzustellen. Der Versteigerer ist gemäß seiner öffentlichen Bestellung (§ 34b GewO) zur Verschwiegenheit gegenüber Dritten vereidigt und wahrt die Vertraulichkeit aller nicht veröffentlichungspflichtigen Informationen mit der gebotenen Sorgfalt. Die häufig vorgebrachte Behauptung, eine öffentliche Versteigerung könne den Wert oder das Ansehen des Versteigerungsgegenstands beeinträchtigen, ist unbegründet. Die gesetzlich vorgeschriebene Markttransparenz dient nicht der Preisgabe vertraulicher Unternehmensdaten, sondern der Schaffung gleicher Zugangsbedingungen und einer fairen, wettbewerblichen Preisbildung. Sie wirkt im Ergebnis wertstabilisierend und rechtskonform.
Der Freihandverkauf als Risiko
Was für Kreditgeber oder Insolvenzverwalter kurzfristig attraktiv erscheint – keine externen Kosten, keine Verfahrensoffenlegung – ist rechtlich haftungsträchtig. Der Freihandverkauf verlangt die Zustimmung aller betroffenen Rechteinhaber (§ 1245 BGB) und eine konkrete, auf den Einzelfall bezogene Erklärung. Diese pauschale Zustimmung im Sicherungsvertrag ist jedoch im Insolvenzfall nichtig. Da Unternehmensanteile regelmäßig keinen objektiven Marktpreis haben, ist § 1245 BGB sowieso praktisch nicht anwendbar. Jede freihändige Verwertung im Insolvenzfall verstößt gegen zwingendes Recht.
M&A‑Prozesse sind keine Versteigerung
Der im M&A‑Sprachgebrauch verwendete Begriff „Auction Sale“ bezeichnet kein rechtliches Versteigerungsverfahren, sondern ein vertraglich organisiertes Bietverfahren. Insolvenzverwalter, Investmentbanken oder Fonds verfügen weder über eine Versteigerererlaubnis (§ 34b GewO) noch über eine öffentliche Bestellung. Ein Zuschlag mit rechtsgestaltender Wirkung tritt dort nicht ein. Nur die öffentliche Versteigerung durch einen geeigneten öffentlich bestellten und vereidigten Versteigerer (§ 34b GewO) führt zu einem rechtsgestaltenden Zuschlag (§ 156 BGB) – und damit zu echter Finalität (Endspielsituation, kein Raum für Nachverhandlung).
Rechtsbrüche bei der Verwertung von verpfändeten Unternehmensanteilen. Rechtsfolgen für Insolvenzverwalter, M&A‑Berater und Pfandgläubiger.
M&AVerfahren oder freihändige Verkäufe im Insolvenzkontext sind rechtswidrig und haftungsträchtig: Der Insolvenzverwalter überschreitet seine Kompetenzen, M&ABerater handeln ohne erforderliche Versteigerererlaubnis und öffentliche Bestellung, und Pfandgläubiger riskieren die Anfechtung oder Rückabwicklung (§§ 129 ff. InsO).
Haftungsfolgen
- Insolvenzverwalter (§ 60 InsO): Pflichtverletzung bei unbefugter Verwertung; Schadensersatzpflicht gegenüber dem Pfandgläubiger (z. B. Differenz oder Verzögerungsschaden).
- Dritte (M&ABerater, Kanzleien): Deliktische Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1235 BGB oder § 826 BGB, wenn sie an einer unzulässigen Verwertung mitwirken.
- Gläubigervertreter: Unterlassen sie gebotene Schutzmaßnahmen, kann eine Beratungs oder Organisationspflichtverletzung nach § 280 BGB vorliegen.
Unzulässige Verwertungen können den Tatbestand der Untreue (§ 266 StGB) erfüllen – ein Offizialdelikt, das nach Kenntnisnahme von Amts wegen zu verfolgen ist.
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