Über Wert und Wer­tig­keit

Was ist Wert — und was ist etwas wert?

Immer wie­der wer­den Ver­stei­ge­rer mit sub­jek­ti­ven Auf­fas­sun­gen über den ‚rich­ti­gen‘ Wert von Pfand­ge­gen­stän­den kon­fron­tiert – nicht sel­ten beglei­tet von unrea­lis­ti­schen Preis­vor­stel­lun­gen, die sich an Brut­to­prei­sen für aktu­el­le Neu- oder Refur­bis­hed-Ware ori­en­tie­ren, wobei regel­mä­ßig zen­tra­le Fak­to­ren wie Ver­triebs­kos­ten für gewerb­li­che Käu­fer, tat­säch­li­cher Zustand, tech­ni­sche Kon­fi­gu­ra­ti­on, feh­len­de Zer­ti­fi­zie­run­gen oder nicht mehr bestehen­de Garan­tien unbe­rück­sich­tigt blei­ben. Dabei gilt: Die öffent­li­che Ver­stei­ge­rung ist der Inbe­griff von Markt – trans­pa­rent, objek­tiv und frei von Wunsch­den­ken. Und nicht sel­ten über­rascht sie mit deut­lich höhe­ren Erlö­sen als im Vor­feld erwar­tet. Jede Ver­stei­ge­rung ist – öko­no­misch betrach­tet – ein markt­wirt­schaft­li­cher Rea­li­täts­check mit Poten­zi­al.

Die Betei­lig­ten an einer öffent­li­chen Pfand­ver­wer­tung haben erfah­rungs­ge­mäß unter­schied­li­che Vor­stel­lun­gen von dem so genann­ten Wert der Sachen oder Rech­te. Wert ist sub­jek­tiv. Preis und Wert sind dabei zu unter­schei­den. Im Wirt­schafts­ge­sche­hen drückt sich ein Wert durch den Preis aus, der erzielt wur­de, wie es der öster­rei­chi­sche Öko­nom Carl Men­ger in der sub­jek­ti­ven Wert­theo­rie for­mu­liert hat. Danach erlan­gen Güter ihren Wert durch die per­sön­li­che Nutz­ein­schät­zung des Ein­zel­nen.  Men­ger ver­trat die Ansicht, dass das klas­si­sche Wert­pa­ra­do­xon – die Fra­ge nach dem Ver­hält­nis von Wert und Nut­zen – dadurch gelöst wer­den kann, dass der Wert eines Gutes durch den zusätz­li­chen Bei­trag einer wei­te­ren Ein­heit die­ses Gutes zur Befrie­di­gung eines mensch­li­chen Bedürf­nis­ses bestimmt wird, zum Bei­spiel durch Geld. Geld dient als ein­heit­li­che Bezugs­grö­ße zur Bestim­mung des Tausch­werts eines Gutes. Der Preis ent­spricht der Men­ge an Geld­ein­hei­ten, die für eine Ein­heit eines Wirt­schafts­gu­tes gezahlt wird und sorgt gleich­zei­tig für den Aus­gleich von Ange­bot und Nach­fra­ge.

Pfand­ver­wer­tun­gen füh­ren regel­mä­ßig unter­schied­li­che Inter­es­sen­la­gen zuta­ge: Der Schuld­ner sieht sein Eigen­tum unter Wert ver­kauft, der Bie­ter glaubt mit­un­ter, über­bo­ten zu haben, und der Gläu­bi­ger schwankt zwi­schen rea­lis­ti­schen Wert­ab­schlä­gen und über­höh­ten Erwar­tungs­hal­tun­gen – getra­gen von der Höhe sei­ner offe­nen For­de­run­gen. Wer recht hat, erweist sich im Moment der Ver­stei­ge­rung, wenn zu einem bestimm­ten Zeit­punkt an einem bestimm­ten Ort die Pfand­ge­gen­stän­de ver­wer­tet wor­den sind; sie sind so viel wert, wie jemand bereit war dafür zu bezah­len. Schuld­ner und Gläu­bi­ger sind übri­gens im Rah­men der gel­ten­den Ver­stei­ge­rungs­be­din­gun­gen grund­sätz­lich zur Teil­nah­me an der öffent­li­chen Ver­stei­ge­rung berech­tigt.

Jeder ver­wen­det den Begriff Wert, und fast jeder ver­steht etwas ande­res dar­un­ter. Wir nei­gen dazu, Din­gen einen Wert zuzu­ord­nen, der auf Asso­zia­tio­nen und Erfah­run­gen beruht. Psy­cho­lo­gisch betrach­tet wird der Wert eines Gegen­stands im all­täg­li­chen Sin­ne dar­in gese­hen, dass er dazu geeig­net ist, Lust­erleb­nis­se oder posi­ti­ve Asso­zia­tio­nen her­vor­zu­ru­fen und dazu ver­an­lasst, von ihm Besitz zu ergrei­fen. Wert ist dem­nach ein gefühls­mä­ßig als über­ge­ord­net Aner­kann­tes. In Wahr­heit aber ist “Wert” vola­til und steht in zeit­li­cher, räum­li­cher und kon­tex­tu­el­ler Bedingt­heit. Häu­fig wird von einem den Gegen­stän­den inhä­ren­ten Wert aus­ge­gan­gen. „Wert ist kei­ne Eigen­schaft irgend­wel­cher Ding­lich­keit, son­dern eine durch die Fähig­keit des Wer­tens erkenn­ba­re Wesen­heit, zugleich die Bedin­gung für das Wert­voll­sein der Objek­te“ (Schisch­koff, Geor­gi: Phi­los­phi­sches Wör­ter­buch. Stutt­gart: Krö­ner, 1978, p. 747). Wert ent­steht — oder erhöht sich — auch durch das Begeh­ren eines Gegen­stands durch ande­re Per­so­nen. Dadurch bekommt der Gegen­stand eine sich auf­wie­gen­de Gegen­sei­tig­keit zwi­schen eige­ner Ein­schät­zung und Begehr­lich­keit eines Drit­ten, die den Wert als eine ihm inne­woh­nen­de Eigen­schaft erschei­nen lässt.

Wert und Wirk­lich­keit sind eige­ne Kate­go­rien, durch die unse­re Vor­stel­lungs­in­hal­te zu Welt­bil­dern wer­den (Sim­mel, Georg: Phi­lo­so­phie des Gel­des, Frank­furt: Suhr­kamp, 1989, p.23 ff.). Der “Wert” einer Sache ist dem­nach sub­jek­tiv. Der wirt­schaft­li­che Wert hin­ge­gen ist die Objek­ti­va­ti­on sub­jek­ti­ver Wer­te zu einem bestimm­ten Zeit­punkt an einem bestimm­ten Ort. Im öko­no­mi­schen Kon­text gilt: Einem Sach­wert ent­spricht ein Geld­wert. Ein Gegen­stand ist somit ein ding­haf­tes Äqui­va­lent zu dem wert­tra­gen­dem Medi­um Geld. Der Wert eines Gegen­stands wird dadurch objek­ti­viert, dass für ihn ein ande­rer Wert — zumeist Geld — hin­ge­ge­ben wird. Das betrifft sowohl Sachen als auch Rech­te. Aus libe­ra­ler Sicht ist “Geld ein durch sozia­le Über­ein­kunft ent­stan­de­nes Tausch­mit­tel” (Tho­mas May­er, Prof. a.d. Uni­ver­si­tät Wit­ten-Her­de­cke). Ein Geld­wert ist abhän­gig von zahl­rei­chen Fak­to­ren, die bei einem Tausch oder einer Wand­lung eines Sach­werts eine Rol­le spie­len und sich auf das Ergeb­nis der Wand­lung — Sache in Geld — unter­schied­lich aus­wir­ken kön­nen. Der Tausch von Sach­wert in Geld­wert bedeu­tet eine Distan­zie­rung zwi­schen dem Gegen­stand und der ihn genie­ßen­den Per­son. Wie bei allen Tausch­hand­lun­gen kann eine Wert­dif­fe­renz zwi­schen per­sön­li­cher Leis­tung des Pro­du­zen­ten und des Geld­äqui­va­lents ent­ste­hen. Durch den Wan­del von Sach­wert in Geld­wert wird der Gegen­stand oder das Recht aus sei­ner bloß sub­jek­ti­ven Wert­be­deu­tung ent­ho­ben. Die Wirt­schaft und ihre Akteu­re lei­ten der Strom der Wer­tun­gen durch die Form des Tau­sches hin­durch. Somit besteht die Wirt­schaft in einer rea­len Abs­trak­ti­on aus der umfas­sen­den Wirk­lich­keit der Wer­tungs­vor­gän­ge (Sim­mel, p. 57).

Unter “Wert” wird hier die öko­no­mi­sche Wer­tung einer Sache in Bezug auf Geld ver­stan­den. Geld hat einen domi­nie­ren­den Ein­fluss in Gesell­schaft, Pol­tik und auch auf das Indi­vi­du­um erlangt. Das Selbst­wert­ge­fühl des Men­schen und sei­ne Lebens­ein­stel­lung wer­den zuneh­mend durch das Geld bestimmt und damit auch die Gegen­stän­de, mit denen ein Mensch in Zusam­men­hang steht, die er bewer­tet oder auf eine bestimm­te Art bewer­tet sehen möch­te (vgl. Sim­mel, Georg: Phi­lo­so­phie des Gel­des, nach 2. Ausg. 1907, Bd. 6, Ber­lin: Suhr­kamp, 1989). „Das ist es (mir) wert“ oder „unter Wert gebe ich die­sen Gegen­stand nicht ab“ wird häu­fig in einer Kauf- oder Ver­kaufs­si­tua­ti­on geäu­ßert. Es sind per­sön­li­che Aus­sa­gen zu einem Begriff, des­sen all­ge­mei­nes Ver­ständ­nis vor­aus­ge­setzt wird, des­sen Inter­pre­ta­ti­on aber indi­vi­du­ell ist. Die Viel­heit der mensch­li­chen Bedürf­nis­se und Gefühls­wei­sen erklärt die Ver­schie­den­ar­tig­keit der Wer­tung. Was einem von hohem Wert ist, besitzt für den ande­ren gerin­gen oder gar kei­nen Wert.

Ein Ver­stei­ge­rer wird regel­mä­ßig mit der fes­ten Über­zeu­gung kon­fron­tiert, dass es einen abso­lu­ten Wert, näm­lich ein unab­hän­gig von den Umstän­den defi­nier­ba­res Äqui­va­lent eines Sach­werts aus­ge­drückt in Geld, gäbe. Dem Wert­kon­zept wird etwas Magi­sches zuge­spro­chen. Es besteht manch­mal sogar die Vor­stel­lung, dass eine höhe­re Wirk­lich­keit namens „Wert“ exis­tie­re. Der Glau­be an einen imma­nen­ten, unver­än­der­li­chen Wert setzt eine star­re Welt vor­aus. Über hoch­prei­si­ge Sach­wer­te exis­tiert häu­fig die Mei­nung, mit der Zeit ergä­be sich zwangs­läu­fig eine Wert­stei­ge­rung. Die­ser Wunsch kann sich bewahr­hei­ten – oder auch nicht. Das Ver­trau­en in ein dif­fu­ses Wert­sta­bi­li­täts­ver­spre­chen wird von Markt­teil­neh­mern (Wirt­schafts­sub­jek­ten) oder gesell­schaft­li­chen Mei­nungs­füh­rern und Auto­ri­tä­ten genährt. Deren Wert­si­cher­heits­ver­spre­chen impli­ziert das Ver­spre­chen einer Wert­ver­meh­rung. Doch der fes­te Wert­glau­be ist ange­sichts unse­res kom­ple­xen Geld­sys­tems durch per­ma­nen­te Liqui­di­täts­aus­wei­tung unhalt­bar. Der Phi­lo­soph Peter Slo­ter­di­jk spricht hier­bei von der „Macht­er­grei­fung des Infla­tio­nis­mus, der von der Main­stream-Öko­no­mie gern baga­tel­li­siert wird.“ Die wah­re Bedeu­tung einer so genann­ten Wert­stei­ge­rung läge dar­in, „dass sie einen abgrün­di­gen Wan­del der Glau­bens­ver­hält­nis­se hin­sicht­lich öko­no­mi­scher Wert­be­stän­de erzeugt. Der Wert­glau­be selbst ist seit gerau­mer Zeit in die infla­tio­nä­re Drift ein­be­zo­gen.“ (Slo­ter­di­jk, Peter: Die schreck­li­chen Kin­der der Neu­zeit. Ber­lin: Suhr­kamp, 2014, p. 201).

Aus die­sen Über­le­gun­gen ist zu schlie­ßen, dass ein fes­ter (Geld-)Wert irra­tio­nal und unrea­lis­tisch ist. Wel­che wei­te­ren Aspek­te sind zum The­ma Wert in Bezug auf Ver­stei­ge­run­gen von Bedeu­tung? Außer einem mone­tä­ren Äqui­va­lent von Sachen oder Rech­ten ist “Wert” sowohl eine emo­tio­nel­le Grö­ße (indi­vi­du­el­le Wert­schät­zung per­sön­li­cher Gegen­stän­de oder Erin­ne­rungs­stü­cke), als auch ein über-indi­vi­du­el­ler, mora­li­scher Begriff. Dazu zählt der Wert­erhalt durch nach­hal­ti­ges, res­sour­cen­scho­nen­des Ver­hal­ten. Indem Sach­wer­te wie­der­ver­wer­tet und gebraucht wer­den, wird sowohl zum Schutz unse­rer Erde bei­getra­gen, als auch die Arbeit der Pro­du­zen­ten gewür­digt, die die­se Sache her­ge­stellt haben. Das ist die Bedeu­tung des „Resa­le“ im Rah­men einer Ver­stei­ge­rung. Wer­te wer­den vom Käu­fer als wert­voll erkannt und umwelt­freund­lich in den Nut­zungs­kreis­lauf re-inte­griert. Indem bei einer öffent­li­chen Ver­stei­ge­rung an einem bestimm­ten Ort und zu einem bestimm­ten Zeit­punkt eine Sache in Geld gewan­delt wird, nützt der Vor­gang in drei­fa­chem Sin­ne: 1. es wird dem Sach­wert ein Geld­äqui­va­lent gegen­über­ge­stellt, das den betrof­fe­nen Par­tei­en zugu­te kommt, 2. wird vom Käu­fer die Sache durch den Kauf gewür­digt und 3. wird durch die Neu­ver­wen­dung ver­stei­ger­ter Gegen­stän­de ein wert­vol­ler Bei­trag für die Gesell­schaft und damit zur Nach­hal­tig­keit geleis­tet.

© Text: Dr. Dag­mar Gold

Lesen Sie hier­zu auch unse­ren Bei­trag in Zusam­men­hang mit der Tätig­keit des Ver­stei­ge­rers: > Über Nach­hal­tig­keit