Warum die Missachtung der gesetzlichen Pfandverwertungsordnung im Distressed Case persönliche Haftung auslösen kann.
In der Distressed-Praxis haben sich über Jahre eingeschliffene Marktgewohnheiten etabliert, die vielfach im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben und der BGH-Rechtssprechung stehen. Der Beitrag zeigt, dass die fortgesetzte Ignorierung der zwingenden Vorgaben kein Randphänomen, sondern ein strukturelles Risiko der Distressed-Transaktionspraxis ist – ein Risiko, das sowohl M&A‑Berater als auch Insolvenzverwalter unmittelbar betrifft.
In der deutschen M&A‑Praxis – insbesondere bei Transaktionen im Krisen- oder Insolvenzumfeld – hat sich eine Vorgehensweise etabliert, die ökonomisch zweckmäßig erscheinen mag, die rechtlich jedoch einen Verstoß gegen die gesetzliche Verwertungsordnung (§§ 1228 ff. BGB) darstellt und damit haftungsbegründend wirkt.
Unter der Bezeichnung „Distressed M&A“ werden regelmäßig Pfandrechte an Rechten ohne gesetzlich vorgesehene aktuelle und informierte Zustimmung des Verpfänders (§ 1245 BGB) verwertet. In der Praxis von Distressed-Transaktionen und Pfandverwertungen wird oft übersehen, dass die vorab pauschal abgegebene Zustimmung des Verpfänders zur freihändigen Verwertung (§ 1245 BGB) kein Blankoscheck ist. Sie muss immer aktuell, informiert und auf den konkreten Verwertungsfall bezogen sein – insbesondere bei Unternehmensanteilen oder IP-Rechten, wo Werte schwanken und Rechtslagen sich schnell ändern. Gerade in Krisensituationen ändern sich diese Rahmenbedingungen fast immer: Marktwert, Beteiligungsverhältnisse, Insolvenzrisiko, Gläubigerinteressen. Trotzdem wird in der M&A‑Praxis häufig mit pauschalen Zustimmungsklauseln gearbeitet, die keine rechtliche Tragfähigkeit mehr haben. Das Ergebnis: Viele sogenannte „Private Sales“ oder „Structured Deals“ sind nicht rechtskonform. Eine einmal erteilte Zustimmung verliert ihre Wirkung, sobald sich wirtschaftliche oder rechtliche Umstände wesentlich ändern.
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändert sich die Rechtslage grundlegend:
Die Zustimmung des Verpfänders erlischt – eine „Altzustimmung“ lebt nicht fort. Der Insolvenzverwalter kann die Verwertung von Rechten oder Unternehmensanteilen nicht genehmigen, da § 166 Abs. 1 InsO nicht anwendbar ist (BGH-Urteil 27.10.2022 – IX ZR 145/21). Das Verwertungsrecht fällt an den Pfandgäubiger, der verpfändete Rechte nur in einer öffentlichen Versteigerung gemäß Paragraf 1235 BGB unverzüglich verwerten lassen muss.
Immaterielle Rechte – Patente, Marken, Lizenzen, Internetdomains –, die in der Bilanz als Vermögenswerte ausgewiesen sind, werden im Insolvenzkontext pauschal in Asset-Deals integriert, obwohl sie rechtlich eigenständige Rechte sind und teils verpfändet oder nicht frei übertragbar. Bilanzielle Aktivierung ersetzt nicht den Rechtsvorgang der Verwertung oder Übertragung. So wird das Pfandverwertungsrecht umgangen – mit Haftungsrisiken für Pfandgläubiger, Verwalter, Berater und Erwerber. Die gesetzliche Pfandverwertungsordnung der §§ 1228 ff. BGB findet in diesen Prozessen oftmals keine Beachtung.
Zahlreiche Transaktionen werden somit als „Asset Deals“ strukturiert, obwohl Teile des übertragenen immateriellen Vermögens enthalten sind. In der Praxis führt das zu faktischen rechtswidrigen Umgehungen des § 1235 BGB, der die öffentliche Versteigerung als Regelfall der Pfandverwertung von Rechten vorschreibt. In der wirtschaftsnahen M&A‑Literatur wird das Problem kaum thematisiert – so auch in Arnd Allerts Standardwerk „Distressed M&A“ (2022), das das Thema Absonderung von Rechten bzw. Pfandverwertung von Rechten gänzlich ausblendet.
Damit entsteht in der Praxis ein strukturelles Spannungsfeld zwischen Marktroutine und Gesetzesbindung: Was ökonomisch pragmatisch wirkt, ist rechtlich unzulässig – mit erheblichen Haftungsrisiken für alle Beteiligten.
Die Praxis der Umgehung – „Distressed Asset Packages“ als rechtliches Risiko
In der Distressed‑M&A‑Praxis werden Unternehmen häufig in vermeintlich übertragbare „Asset Packages“ zerlegt. Diese enthalten regelmäßig auch immaterielle Werte – etwa Lizenzen, Markenrechte, Patente oder Internetdomains –, die entweder nicht rechtswirksam übertragbar (§§ 398, 413 BGB; § 30 UrhG; § 69b UrhG) oder aufgrund Verpfändung im Wege der öffentliche Versteigerung (§ 1235 BGB) zu verwerten sind.
Trotzdem werden sie bilanziell erfasst, bewertet und in Kaufverträgen aufgeführt. Das dient häufig dem Zweck, den Anschein eines hohen Transaktionsvolumens zu erzeugen oder vertragliche Pfandrechte faktisch zu entwerten.
Solche Konstellationen stellen eine Umgehung der §§ 1228 ff. BGB dar und können sowohl zivilrechtliche Nichtigkeit (§ 134 BGB) als auch strafrechtliche Relevanz begründen – insbesondere, wenn dadurch Gläubiger oder Erwerber über den rechtlichen Bestand der übertragenen Werte getäuscht werden (§ 263 StGB, § 266 StGB).
Rechtsrisiko: Missachtung absonderungsberechtigter Pfandgläubiger bei verpfändeten Rechten
Besteht ein vertragliches Pfandrecht an Unternehmensanteilen, so ist ebenfalls die Verwertung über die öffentliche Versteigerung zwingend gesetzlich vorgeschrieben (keine Anwendung § 166 Abs 1 InsO). Ein Pfandnehmer kann einer freihändigen Verwertung im Insolvenzfall nicht zustimmen.
Das ist der entscheidende Punkt: Im eröffneten Insolvenzverfahren darf weder der Inoslvenzverwalter, der Pfandnehmer noch der Verpfänder selbst eine Zustimmung zur freihändigen Verwertung (§ 1245 BGB) von verpfändeten Unternehmensanteilen oder sonstigen Rechten erteilen – weder ausdrücklich noch konkludent. Denn mit der Verfahrenseröffnung verliert der Verpfänder die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über das Vermögen (§ 80 Abs. 1 InsO), und seine Zustimmung wäre daher rechtlich unbeachtlich. Eine Zustimmung zur freihändigen Verwertung (§ 1245 BGB) wäre eine Verfügung über die Art der Pfandverwertung – und damit verfügungsähnlich, also nichtig (§ 134 BGB i.V.m. § 80 InsO).
Zusammengefasst:
- Der Insolvenzverwalter darf Rechte nicht selbst verwerten (keine Anwendung des § 166 Abs. 1 InsO; BGH-Urteil 27.10.2022 – IX ZR 145/21),
- der Verpfänder darf keine Zustimmung zur freihändigen Verwertung erteilen,
- - und der Pfandgläubiger muss die öffentliche Versteigerung (§ 1235 BGB) unverzüglich durchführen lassen.
Persönliche Haftung der M&A‑Berater
Auch im Rahmen einer Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) oder eines Restrukturierungsverfahrens nach dem StaRUG besteht für M&A‑Berater ein erhebliches straf- und zivilrechtliches Risiko, wenn sie an einer rechtswidrigen oder pflichtwidrigen Verwertung von Rechten mit Pfand- oder Absonderungsrechten mitwirken.
Die Eigenverwaltung ist kein rechtsfreier Raum. Auch wenn der Schuldner nach § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis behält, unterliegt er den gleichen insolvenzrechtlichen Beschränkungen und Pflichten wie ein Insolvenzverwalter (§ 270 Abs. 2 Satz 1 InsO). Auch in der Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) und im Restrukturierungsrahmen (StaRUG) dürfen M&A‑Berater nicht an der freihändigen Verwertung von Rechten mit Pfand- oder Absonderungsrechten mitwirken. Der Schuldner verliert im Insolvenzverfahren die freie Verwertungsbefugnis (§ 80 InsO), und im Restrukturierungsverfahren bleiben Sicherungsrechte unberührt (§ 12 StaRUG). Eine freihändige Anteilsveräußerung ohne Wahrung der Absonderungsrechte ist rechtswidrig (§ 134 BGB), und der Berater setzt sich einem erheblichen persönlichen Zivilrechts- und Strafrisiko (§§ 823 Abs. 2, 27, 266 StGB) aus. § 12 StaRUG fixiert die Unberührtheit dinglicher Sicherungsrechte; jede freihändige Verwertung solcher Rechte wäre planwidrig und damit rechtswidrig (§ 134 BGB).
Eine freihändige Verwertung verpfändeter Rechte bleibt unzulässig – auch in der Eigenverwaltung oder im Sanierungs-/Restrukturierungsverfahren.
Haftung bei Mitwirkung – wenn ein M&A‑Berater:
- eine freihändige Anteilsveräußerung vorbereitet oder strukturiert, obwohl Pfandrechte bestehen,
- die erforderliche aktuelle und informierte Zustimmung des Verpfänders vor Insolvenz (§ 1245 BGB) ignoriert oder umgeht,
- oder die gesetzliche Verwertungsordnung (§§ 1228 ff., 1245 BGB) umgeht,
dann begründet er dieselben Haftungstatbestände wie im Regelverfahren:
- 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 1228 ff. BGB: Verletzung eines Schutzgesetzes,
- 830 BGB: Teilnahme an Pflichtverletzung des Eigenverwalters,
- 60 InsO analog: Mitverantwortlichkeit bei Schädigung der Masse,
- § 27, 266 StGB: Beihilfe zur Untreue oder Missbrauch der Verfügungsbefugnis.
Verletzung zwingender Pfandverwertungsnormen (§§ 1228 ff., 1245 BGB) und die insolvenzrechtliche Zuständigkeitsordnung (§ 80 InsO) bewirken Rechtsfolgen:
- zivilrechtliche Haftung (§§ 823 Abs. 2, 830 BGB),
- vertragliche Haftung (§ 280 BGB),
- strafrechtliche Verantwortung (§§ 27, 266 StGB),
- Nichtigkeit der Transaktion (§ 134 BGB) und Rückabwicklung (§§ 812 ff. BGB).
Zur rechtlichen Einordnung im Einzelnen:
- Zivilrechtliche Haftung (§§ 280 ff., 311 Abs. 3, 826 BGB)
M&A‑Berater, die an derartigen Strukturen mitwirken, übernehmen faktisch eine rechtliche Mitverantwortung. Auch wenn sie formal keine Organe oder Vertragsparteien sind, entsteht ein gesetzliches Schuldverhältnis mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (§ 311 Abs. 3 BGB).
Wer in dieser Rolle die gesetzliche Verwertungsordnung ignoriert, unrichtige rechtliche Einschätzungen abgibt oder aktiv zur Umgehung des § 1235 BGB beiträgt, haftet persönlich – entweder aus fahrlässiger Pflichtverletzung (§ 280 BGB) oder bei bewusster Mitwirkung an einer rechtswidrigen Transaktion aus § 826 BGB.
Die Rechtsprechung des BGH ist eindeutig: Berater, die an der Verkürzung der Insolvenzmasse oder an der Umgehung zwingender Normen mitwirken, haften persönlich (BGH, Urt. v. 13.12.2018 – IX ZR 216/17; BGH, Urt. v. 23. 9. 2021 – IX ZR 51/19).
2. Insolvenzspezifische Haftung (§ 60 InsO, § 15b InsO, § 347 HGB)
Berater, die in der Krise oder nach Insolvenzeröffnung Transaktionen fördern, welche die Verwertungsordnung verletzen, können haftungsrechtlich erfasst werden. § 60 InsO verpflichtet den Insolvenzverwalter zur pflichtgemäßen Verwaltung der Masse; beteiligt sich ein Dritter vorsätzlich oder grob fahrlässig an einer Pflichtverletzung, entsteht Mithaftung nach § 830 BGB analog.
Für Berater greift ergänzend § 15b InsO (vormals § 64 GmbHG a.F.) sowie das kaufmännische Sorgfaltsgebot des § 347 HGB: Wer als fachkundiger Dritter eine rechtlich riskante Struktur initiiert, handelt bei objektiver Pflichtwidrigkeit fahrlässig im Sinne dieser Vorschriften.
3. Strafrechtliche Haftung (§§ 27, 263, 266 StGB)
Neben zivilrechtlicher Verantwortung droht strafrechtliche Haftung, wenn der Berater:
- an der Umgehung von Sicherungsrechten mitwirkt (§ 27 i.V.m. § 266 StGB),
- durch falsche Angaben Täuschungen über die rechtliche Zulässigkeit begeht (§ 263 StGB),
- oder verstrickte Gegenstände veräußert (§ 136 StGB).
Besonders gravierend ist die Fortführung von M&A‑Prozessen nach Insolvenzeröffnung. Mit Verfahrenseröffnung geht die Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 InsO). Eine eigenmächtige Fortführung durch Berater oder Geschäftsleiter ist nichtig (§ 134 BGB).
Der BGH (Urt. v. 13. Oktober 2022 – IX ZR 156/21) hat klargestellt, dass § 166 InsO nicht auf die Verwertung von Rechten anwendbar ist. Ein Insolvenzverwalter kann eine unzulässige Pfandverwertung also nicht nachträglich genehmigen – sie bleibt rechtswidrig.
Literatur und Markttradition – die unterschätzte Lücke
Bemerkenswert ist, dass die führende M&A‑Literatur die Thematik der Absonderungsrechte weitgehend ausspart. Weder in Allerts „Distressed M&A“ (München: 2022) noch in anderen verbreiteten Handbüchern wird § 1235 BGB als zentrales Schutzinstrument erwähnt.
Dadurch entsteht der Eindruck, das M&A‑Verfahren sei gesetzlich gleichwertig mit der öffentlichen Versteigerung. Das ist rechtsdogmatisch unzutreffend: Die öffentliche Versteigerung ist das gesetzlich vorgesehene, hoheitlich legitimierte Verfahren. Der freihändige Verkauf (§ 1245 BGB) bleibt die eng begrenzte Ausnahme – nicht der Marktstandard.
Rechtskonformität schafft Vertrauen, Marktöffnung und Haftungssicherheit
- 1235 BGB ist kein Relikt, sondern der rechtliche Garant für Transparenz, Gleichbehandlung und Marktpreisbildung. § 1245 BGB ist keine flexible Option, sondern eine enge Ausnahme mit Zustimmungsvorbehalt.
Wer diese Grundsätze beachtet, handelt rechtskonform, haftungssicher und ökonomisch rational. Die öffentliche Versteigerung bietet klare, objektive und nachweisbare Vorteile gegenüber der freihändigen M&A‑Verwertung:
- Rechtskonformität: gesetzlich legitimiertes Verfahren nach § 1235 BGB.
- Finalität: Zuschlag als Hoheitsakt (§ 383 BGB n.F.) – keine Nachverhandlung, keine aufschiebenden Bedingungen.
- Transparenz: gleiche Informationslage, gleiche Zugangsbedingungen (NDA) für alle geprüften Bieter (KYC/AML, Sanctions)
- Haftungsfreiheit: dokumentierte Marktpreisbildung; der Pfandgläubiger erfüllt nachweislich seine Pflichten (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB), Bestätigung der zivilrechtlichen Voraussetzungen.
- Effizienz: feste Fristen, standardisierte Abläufe, klare Kostenstruktur.
- Rechtliche Vollwirkung:
– Gewährleistungsausschluss nach § 445 BGB – der Zuschlag beendet das Verfahren ohne spätere Mängelhaftung,
– gutgläubiger Erwerb nach § 935 Abs. 2 BGB – der Erwerber erlangt Eigentum auch an zuvor verpfändeten Rechte (Inhaberpapiere).
– finale und unanfechtbare Wertfeststellung – der Zuschlag dokumentiert den objektiven Marktwert hoheitlich und abschließend.Damit schafft die öffentliche Versteigerung das, was klassische M&A‑Prozesse regelmäßig nicht gewährleisten: Rechtsklarheit, ökonomische Endgültigkeit und eine eindeutige, unangreifbare Wertfeststellung.
Demgegenüber führt die fortgesetzte Praxis der Distressed‑M&A‑Verwertung ohne Beachtung der Pfandverwertungsordnung zu Rechtsunsicherheit, Anfechtungsrisiken und potenzieller persönlicher Haftung der beteiligten Akteure.
Die Deutsche Pfandverwertung steht für das Gegenteil dieser Risiken bei ordnungsgemäßer Umsetzung: Sie verbindet juristische Präzision, ökonomische Effizienz und hoheitliche Legitimation. Wo Verhandlungen enden und Rechtsfolgen beginnen, schafft die öffentliche Versteigerung das, was M&A‑Strukturen nicht leisten können – Rechtskonformität, Marktöffnung und endgültige Verbindlichkeit.
Marktroutine, Insolvenzpraxis und Gesetzesbindung – ein systematischer Vergleich
In der deutschen Transaktionspraxis, insbesondere bei sogenannten Distressed M&A‑Fällen, hat sich ein Vorgehen etabliert, das ökonomisch zweckmäßig erscheinen mag, rechtlich jedoch auf rechtswidrigem Boden steht. Sowohl M&A‑Berater als auch Insolvenzverwalter berufen sich häufig auf Marktüblichkeit, Verfahrensökonomie oder praktische Zwänge – und übersehen dabei, dass die §§ 1228 ff. BGB eine zwingende, abschließende Pfandverwertungsordnung bilden. Der gesetzliche Regelfall ist die öffentliche Versteigerung (§ 1235 BGB); die freihändige Verwertung (§ 1245 BGB) ist eine eng begrenzte Ausnahme. Wird diese Struktur missachtet, sind die Folgen gravierend: Rechtswidrigkeit, Nichtigkeit (§ 134 BGB) und persönliche Haftung (§ 60 InsO, § 347 HGB).
Erstens — Die Perspektive des M&A‑Beraters
M&A‑Berater argumentieren, § 1245 BGB ermögliche eine flexible Handhabung der Pfandverwertung. Die Zustimmung des Verpfänders könne konkludent erfolgen oder aus früheren Vereinbarungen „fortwirken“. In der Krisen- oder Insolvenzsituation sei rasches Handeln erforderlich; daher sei es „marktüblich“, mit pauschalen Zustimmungsklauseln oder stillschweigenden Duldungen zu arbeiten. Man beruft sich auf ökonomische Zweckmäßigkeit und behauptet, eine öffentliche Versteigerung sei zu formal, zu kompliziert und zu langsam.
Diese Darstellung ist inhaltlich falsch und rechtlich unbegründet.
Gerade die öffentliche Versteigerung ist das strukturierteste, schnellste und effizienteste Verfahren:
Sie folgt einem bewährten, standardisierten Procedere, beruht auf vorhandenen rechtskonformen Vertragswerken, nutzt eine eigene digitale Infrastruktur mit weltweiter Reichweite, ermöglicht professionelle Markterschließung und stützt sich auf ein etabliertes internationales Investorennetzwerk.
Damit ist sie weder bürokratisch noch verzögert, sondern im Gegenteil – transparent, standardisiert und hocheffizient.
Demgegenüber sind klassische M&A‑Verfahren tatsächlich langsam, überkomplex, streitbefangen und kostenintensiv:
Sie erfordern eigens zu erstellende umfangreiche Vertragswerke, separate Datenräume, langwierige Due-Diligence-Prozesse, Genehmigungsvorbehalte und oft mehrstufige Verhandlungen.
Gerade diese Strukturen von meist 3 bis 12 Monaten Dauer, aber auch Retainer, unvorhersehbare Stundenhonore sowie Success Fees, machen M&A zeit- und kostenintensiv, während die öffentliche Versteigerung schnell, nachvollziehbar und final ist.
Rechtlich gilt: § 1245 BGB verlangt eine aktuelle, informierte und auf den konkreten Verwertungsfall bezogene Zustimmung des Verpfänders (vgl. Palandt/Ellenberger, § 1245 Rn. 1 f.; MüKoBGB/Schwab, § 1245 Rn. 4–6). Eine pauschale oder vorweggenommene Zustimmung ist gemäß § 1245 Abs. 2 BGB ausdrücklich unwirksam. Eine vermeintliche „Marktüblichkeit“ ersetzt keine Rechtsgrundlage. Gewohnheitsrecht contra legem existiert nicht (BGHZ 75, 183 = NJW 1980, 2738).
Jede freihändige Verwertung im vorinsolvenzlichen Kontext ohne aktuelle Zustimmung verstößt gegen zwingendes Recht (§ 134 BGB). Das Pfandrecht bleibt bestehen (§ 1252 BGB), und der Erwerber erlangt kein lastenfreies Eigentum. § 1245 Abs. 2 BGB ist zugleich als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, da er den Verpfänder vor Übervorteilung in Drucksituationen schützt und die zwingende Verwertungsordnung absichert. Mit Eintreten der Insolvenz ist die Verwertung verpfändeter Unternehmensanteile und sonstiger Rechte ausschließlich im Wege der öffentlichen Versteigerung gemäß Paragraf 12 35 BGB zulässig.
Zweitens: Die Perspektive des Insolvenzverwalters
Auch Insolvenzverwalter argumentieren regelmäßig mit ökonomischer Zweckmäßigkeit. Sie verstehen sich als „Herr des Verfahrens“ (§§ 80, 148 InsO) und leiten daraus eine faktische Genehmigungsbefugnis für die Verwertung verpfändeter Rechte ab. Oft wird § 166 InsO – der die Verwertung beweglicher Sachen regelt – analog auf Rechte angewendet. Daraus soll folgen, dass der Verwalter freihändige Verkäufe von Beteiligungen, Lizenzen oder immateriellen Rechten im Rahmen eines Asset Deals genehmigen könne, um die Masse zu optimieren und den Unternehmenserhalt zu fördern.
Diese Argumentation ist rechtsdogmatisch unhaltbar. § 166 Abs. 1 InsO betrifft ausschließlich körperliche Sachen; auf Rechte, Unternehmensanteile oder immaterielle Vermögenswerte ist die Norm nicht anwendbar. Der BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 – IX ZR 145/21, hat dies ausdrücklich bestätigt. Der Insolvenzverwalter besitzt somit keine gesetzliche Befugnis, eine Pfandverwertung an Rechten selbst durchzuführen, zu genehmigen oder zu beauftragen.
Gleichwohl wird in der Praxis häufig behauptet, die Zustimmung des Verpfänders lebe fort oder sei durch die Verwaltergenehmigung „ersetzt“. Tatsächlich erlischt die Zustimmung des Verpfänders mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, weil der Verpfänder seine Verfügungsbefugnis verliert (§ 80 Abs. 1 InsO). Eine vorinsolvenzliche Zustimmung ist nicht fortwirkend, da § 1245 Abs. 2 BGB einen Verzicht auf die gesetzlichen Verwertungsregeln vor Eintritt der Verkaufsberechtigung ausdrücklich verbietet. Der Insolvenzverwalter kann die Zustimmung nicht ersetzen, da er keine materielle Berechtigung am Pfandobjekt hat. Eine darauf gestützte Verwertung ist rechtswidrig und nichtig (§ 134 BGB). § 1245 Abs. 2 BGB ist zugleich als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, da er den Verpfänder vor Übervorteilung in Drucksituationen schützt und die zwingende Verwertungsordnung absichert.
Besonders problematisch ist die in der Insolvenzpraxis verbreitete Gleichsetzung bilanzieller Aktivierung mit rechtlicher Verwertbarkeit. Viele Verwalter fassen immaterielle Rechte – Patente, Marken, Software, Lizenzen – als „wirtschaftliche Vermögenswerte“ auf und integrieren sie pauschal in Asset Deals. Doch die bilanzielle Erfassung ersetzt nicht den Rechtsvorgang der Übertragung oder Verwertung (§§ 413 ff. BGB). Jedes dieser Rechte unterliegt seiner eigenen Übertragungsordnung und gegebenenfalls einem Pfandrecht. Werden solche Rechte ohne Beachtung der §§ 1228 ff. BGB verwertet, liegt ein rechtswidriger Eingriff in ein Absonderungsrecht vor, der nicht nur zur Nichtigkeit der Transaktion (§ 134 BGB), sondern auch zur persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO führt. Diese Haftung tritt neben die allgemeine Schadensersatzpflicht (§ 280 BGB) und kann bei grober Fahrlässigkeit oder bewusster Missachtung der gesetzlichen Verwertungsordnung auch strafrechtlich relevant sein (§ 266 StGB).
Das Argument, eine öffentliche Versteigerung sei „nicht praktikabel“, ist unzutreffend.
Gerade die öffentliche Versteigerung ist standardisiert, bewährt und voll digitalisiert.
Sie ermöglicht in kürzester Zeit die Durchführung rechtskonformer Verfahren, den Abruf vorhandener Vertragsmuster und die sofortige weltweite Markterschließung über ein bestehendes Netzwerk professioneller Investoren.
Sie ist damit nicht nur praktikabel, sondern der effizienteste, transparenteste und rechtskonformste Weg zur Verwertung.
Der Insolvenzverwalter ist kein Ermessensorgan, sondern Teil der Rechtspflege (§ 1 InsO) und damit an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Ökonomische Zweckmäßigkeit darf nicht zur Umgehung zwingenden Rechts führen.
Drittens: Die Perspektive der gesetzlichen Pfandverwertungsordnung (§§ 1228 ff. BGB, § 166 InsO)
Die §§ 1228 ff. BGB bilden eine zwingende und abschließende Verwertungsordnung.
Nach § 1235 BGB ist die öffentliche Versteigerung Regelfall,
nach § 1245 BGB ist die freihändige Verwertung nur mit aktueller, informierter Zustimmung zulässig,
und § 166 InsO regelt ausschließlich den Sonderfall körperlicher Sachen – auf Rechte findet er keine Anwendung (BGH IX ZR 145/21).
Diese Systematik dient dem Schutz des Verpfänders, der Gläubigergleichbehandlung (§ 1 InsO) und der Rechtssicherheit aller Beteiligten.
Ein Verstoß gegen diese Ordnung hat klare Folgen:
– Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit des Verwertungsgeschäfts (§ 134 BGB),
– Fortbestand des Pfandrechts (§ 1252 BGB),
– Rückabwicklung nach §§ 812 ff. BGB,
– Haftung des Pfandgläubigers (§ 280 BGB),
– persönliche Haftung des Insolvenzverwalters (§ 60 InsO) und gegebenenfalls Strafbarkeit (§ 266 StGB).
Die öffentliche Versteigerung ist nicht nur ein Verfahrensmechanismus, sondern ein hoheitlich legitimierter Rechtsakt. Der Zuschlag (§§ 156, 383 BGB n.F.) beendet das Verfahren final, rechtsbegründend und unanfechtbar. Er schafft Transparenz, Rechtsklarheit und Marktgerechtigkeit – Werte, die weder durch Marktüblichkeit noch durch ökonomischen Druck ersetzt werden dürfen.
Fazit: Gesetz statt Gewohnheit – Rechtskonformität ist zwingend!
Sowohl M&A‑Berater als auch Insolvenzverwalter berufen sich gern auf Gewohnheit, Marktstandard oder wirtschaftliche Vernunft. Doch diese Argumente sind rechtlich unbeachtlich. Gewohnheitsrecht contra legem existiert nicht, und § 1235 BGB lässt keinen Raum für informelle Verwertungspraktiken.
Die Pfandverwertung folgt einem zwingenden Regelgefüge:
- § 1235 BGB: Öffentliche Versteigerung als Regelfall,
- § 1245 BGB: Freihändige Verwertung nur bei aktueller Zustimmung,
- § 166 InsO: Keine Anwendung auf Rechte (BGH IX ZR 145/21),
- § 60 InsO: Persönliche Haftung des Insolvenzverwalters bei rechtswidrigen Verfügungen.
Was in der Transaktionspraxis als pragmatisch gilt, ist rechtlich unzulässig.
Die Missachtung der gesetzlichen Verwertungsordnung stellt keinen Marktstandard, sondern einen Gesetzesverstoß dar.
Die öffentliche Versteigerung ist kein bürokratisches Relikt, sondern ein modernes, effizientes und rechtskonformes Verfahren mit klaren Abläufen, geprüften Vertragsmustern, weltweiter Reichweite, professioneller Markterschließung und etabliertem Investorenzugang.
Der Insolvenzverwalter bleibt Organ der Rechtspflege und trägt persönliche Verantwortung für die Rechtskonformität seines Handelns.
Was als „Marktpraxis“ erscheint, ist kein Recht – sondern in diesen Fällen schlicht illegal.
Literatur- und Normverzeichnis
BGB: §§ 90, 1228–1252, 134, 156, 280 ff., 311 Abs. 3, 347, 398, 413, 445, 823, 826
InsO: §§ 1, 35, 47, 50–52, 60, 80, 97, 129, 166
HGB: § 347
StGB: §§ 27, 136, 263, 266
BGH:
– BGH, Urt. v. 13. 12. 2018 – IX ZR 216/17
– BGH, Urt. v. 23. 9. 2021 – IX ZR 51/19
– BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 145/21
Kommentarstellen:
– Palandt/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. 2024, §§ 1235–1245 Rn. 1–6
– MüKoBGB/Schwab, 9. Aufl. 2023, §§ 1235–1245
– Staudinger/Bittner, BGB (2022), § 1245 Rn. 5 ff.
Literatur:
– Allert, Arnd: Distressed M&A – Kauf und Verkauf von mittelständischen Unternehmen in wirtschaftlichen Krisenzeiten, München: Franz Vahlen, 2022 (S. 207)
Autor
Fritz Eberhard Ostermayer
Präsident des BvV e.V. (Berlin) – Bundesverband öffentlich bestellter, vereidigter und besonders qualifizierter Versteigerer
Allgemein öffentlich bestellter und vereidigter Versteigerer für alle Auktionsarten (§ 34b GewO)
IfUS-zertifizierter Restrukturierungs- & Sanierungsberater (Heidelberg)
Über 15 Jahre Erfahrung in der Verwertung von Gesellschaftsanteilen
Kontakt:
E‑Mail: office@deutsche-pfandverwertung.de | Telefon: 08027 908 9928
Disclaimer
Die in diesem Beitrag enthaltenen Informationen, Bewertungen und rechtlichen Erläuterungen dienen ausschließlich der allgemeinen fachlichen Information. Sie stellen keine Rechtsberatung im Einzelfall dar und können eine individuelle rechtliche Prüfung durch einen Rechtsanwalt nicht ersetzen.
Die Deutsche Pfandverwertung handelt nicht als Rechtsberater, sondern als öffentlich bestellte, vereidigte Versteigerer, Spezialist für die Verwertung von Rechten und Sicherungsgütern im Rahmen gesetzlich vorgegebener Verfahren sowie als zertifizierte Sanierungs- und Restrukturierungsberater.
Alle Inhalte beruhen auf öffentlich zugänglichen Quellen, einschlägiger Rechtsprechung und praktischen Erfahrungen aus der Verwertungspraxis. Eine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit oder Vollständigkeit wird ausgeschlossen.
Wir sind öffentlich bestellte, vereidigte Versteigerer (Auktionator) mit über 15 Jahren Erfahrung bei der Verwertung aufgrund gesetzlicher und vertraglicher Pfandrechte in rechtskonformer Online Auktion mit Live Stream.
Haben Sie einen konkreten Fall? Dann nehmen Sie mit uns Kontakt auf: ZUM KONTAKTFORMULAR.
Kontaktieren Sie uns – gemeinsam für ein erfolgreiches Ergebnis!
Weitere Beiträge zum Thema
M&A‑Abbruch bei Insolvenzeröffnung: zwingend bei Absonderungen verpfändeter Unternehmensanteile und IP-Rechten
Verwertung von verpfändeten Unternehmensanteilen oder Rechten im Insolvenzfall
Sonderrechte des Gläubigers bei Insolvenz des Schuldners
Pfandrechte an Geschäftsanteilen: optimiertes Verwertungsinstrument in der Forderungsrealisierung durch Anteilsverkauf
Pfandrechte — Alles Wissenswerte erklärt. Ein Pfandrecht kann sich sowohl auf Sachen, also physische Gegenstände, als auch auf Rechte jeglicher Art beziehen, wie zum Beispiel Unternehmensanteile, Patente, Wertpapiere, IP-Rechte, Domains, Lizenzen oder Markenrechte.





















