Brandbeschleuniger Insolvenzrecht:
Eine These. Iinspiriert durch das Buch „Die Kunst des perfekten Scheiterns“ von Christian Riek.
Der Erhalt des Kapitalstocks Deutschlands — und damit die Gesamtheit der in Deutschland ansässigen Unternehmen — ist in weiten Teilen massiv von der Insolvenzwelle bedroht. Der Werkzeugkasten, den das aktuelle Insolvenzrecht bietet, erweist sich als ungeeignet, um die negativen Folgen effektiv zu begrenzen. Die sich abzeichnende, tiefgreifende Wirtschaftskrise legt die Konstruktionsfehler des Systems schonungslos offen. Aber auf einem Fundament mit unzureichender Statik lässt sich kein stabiles Gebäude errichten. Die Politik steht jetzt in Verantwortung, Maßnahmen zu entwickeln, um die bevorstehenden Schäden zumindest einzudämmen. Im Folgenden werden die Ursachen der Krise sowie kurzfristige Lösungsansätze beschrieben, die dringend zeitnah umgesetzt werden müssen.
Präambel: Unsere Veröffentlichung erfolgt ohne politische Motivation. Wir sind keiner Partei zugehörig, denn Parteizugehörigkeit steht nicht im Einklang mit unserem Selbstverständnis. Wir haben uns der Unabhängigkeit verpflichtet und machen uns mit keiner Sache gemein. Unabhängig davon, welche politische Konstellation aktuell an der Regierung ist, halten wir es für entscheidend, dass die drei Produktionsfaktoren – Arbeit, Boden und Kapital – in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen. Wir beschäftigen uns nicht mit Meinungen, die unreflektiert subjektive Ansichten wiedergeben, sondern mit Fakten, basierend auf klaren Evidenzen, die die Realität widerspiegeln. Der Begriff “Fakt” stammt vom lateinischen factum, was wiederum von facere – “machen” oder “tun” – abgeleitet ist und etwas beschreibt, das tatsächlich geschehen ist. Fakten decken oft unbequeme Wahrheiten auf, denen man sich aber stellen muss.
Die ernsthafte Sorge um den Wirtschaftsstandort treibt uns an. Wer in der Volks- und Betriebswirtschaft ein Thema aufgreift, erkennt schnell, dass am Ende alles miteinander zusammenhängt. In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf den Bereich, in dem wir Fachwissen besitzen: Forderungen, Verbindlichkeiten und Insolvenzen. Als öffentlich bestellte und vereidigte Versteigerer werden wir bei der Realisierung von Forderungen, insbesondere bei leistungsgestörten Verträgen, regelmäßig eingeschaltet. Dadurch sind wir in diesen Bereichen stets nah am aktuellen Geschehen.
Der österreichische Ökonom Josef Schumpeter betrachtete Insolvenzen als eine notwendige und natürliche Folge des kapitalistischen Systems. Ineffiziente oder innovationsarme Unternehmen scheitern, während neue, innovative Unternehmen die Ressourcen und Märkte übernehmen. Dadurch entsteht Raum für wirtschaftlichen Fortschritt. In einer funktionierenden freien sozialen Marktwirtschaft ist die Insolvenz einzelner Unternehmen ein Prozess der Marktbereinigung. Unproduktive Unternehmen werden eliminiert, wodurch Kapital und Ressourcen effizienter genutzt und für innovativere, wettbewerbsfähigere Unternehmen verfügbar gemacht werden. Insolvenzen fördern somit den Fortschritt, indem sie Druck auf Unternehmen ausüben, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und anzupassen. Unternehmen, die diesen Wandel nicht rechtzeitig vollziehen, riskieren, durch den Prozess der “kreativen Zerstörung” von innovativeren Wettbewerbern verdrängt zu werden. Dieser intensive Wettbewerb – sowohl national als auch international – trägt langfristig zur Optimierung und zur Innovation in Unternehmen bei.
Die Wirtschaftsmodelle der Österreichischen Schule, entwickelt von Ökonomen wie von Mises, Hayek und Schumpeter, wurden von Ludwig Erhard, dem ersten Wirtschaftsminister der Deutschen Bundesrepublik, trotz anfangs erheblicher Widerstände in die Wirtschaftspolitik integriert. Diese Modelle stützten sich auf das BGB und HGB. Besonders empfehlenswert in diesem Zusammenhang sind Friedrich A. Hayeks Standardwerk Der Weg zur Knechtschaft, Carlos A. Gebauers Warnung vor der Knechtschaft und Ludwig Erhards Wohlstand für Alle, die wir unten in der Beschreibung verlinkt haben. Ludwig Erhard spielte eine entscheidende Rolle beim schnellen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Erfolg des Wirtschaftswunders. Bedauerlicherweise haben wir dieses für unser Land so erfolgreiche Wirtschaftsmodell inzwischen hinter uns gelassen.
Die Bundesrepublik steht vor der schwersten Wirtschaftskrise seit ihrem Bestehen. Die deutsche Wirtschaft schrumpft und sackt immer tiefer in den rezessiven Bereich. In vielen Sektoren gehen die Auftragseingänge fast auf Null zurück, und die Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt unaufhörlich. Auslöser hierfür sind zumeist exogene Faktoren, auf die die Unternehmen kaum oder gar keinen Einfluss haben. Die Prognosen lassen in absehbarer Zeit keine Besserung erwarten. Die Wirtschaft steht vor enormen Herausforderungen, und jeder sollte sich auf einen Verlust an Wohlstand einstellen.
Am 11. September 2024 war in der WELT zu lesen, dass im ersten Halbjahr fast 25 Prozent mehr Unternehmen Insolvenz angemeldet haben als im Vorjahr. Die Forderungen der Gläubiger beziffern die Gerichte auf rund 32,4 Milliarden Euro – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den 13,9 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2023. Es ist bei diesen Zahlen zu beachten, dass Insolvenzanträge erst nach der ersten Entscheidung der Insolvenzgerichte in die Statistik einfließen, wobei der tatsächliche Antrag oft bereits drei Monate vorher gestellt wurde.
Mit der Zunahme der Firmenpleiten steigt laut Allianz Trade auch die Zahl der Großinsolvenzen: Im ersten Halbjahr 2024 wurden bereits 40 Fälle verzeichnet, was nicht nur der höchste Wert seit 2015 ist, sondern auch einen Anstieg von über einem Drittel im Vergleich zum Vorjahreszeitraum darstellt. Großinsolvenzen haben oft einen Dominoeffekt auf viele Unternehmen entlang der gesamten Lieferkette. „Nicht selten werden sie mitgerissen und geraten selbst in den Abwärtssog, der im schlimmsten Fall ebenfalls in der Zahlungsunfähigkeit endet“, erklärt Milo Bogaerts, Geschäftsführer des Kreditversicherers.
Die düstere Prognose des Wirtschaftsteils der Welt vom 10. September 2024 lautet: „37 Prozent mehr Großinsolvenzen – und der ‘Sturm der Firmenpleiten’ steht erst bevor.“ Der Negativtrend dürfte sich in der zweiten Jahreshälfte fortsetzen, wobei sowohl der wirtschaftliche Schaden als auch die Zahl der bedrohten Arbeitsplätze rapide ansteigen. Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles (SPD), prognostiziert für 2025 eine Arbeitslosenzahl von 3 Millionen. Laut Allianz Trade liegt der kumulierte Umsatz der insolventen Großunternehmen im ersten Halbjahr bereits bei 11,6 Milliarden Euro, womit der Gesamtschaden des Vorjahres bereits nach den ersten sechs Monaten übertroffen wurde. Der durchschnittliche Umsatz der betroffenen Großunternehmen beträgt rund 290 Millionen Euro, ein Anstieg von 85 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Ein neuer Höchststand bei notleidenden Krediten ist unvermeidlich. Steigende Insolvenzzahlen führen zwangsläufig zu einer Zunahme der Kreditrisiken und ‑ausfälle, was den Vorsorgebedarf der Banken weiter erhöht. Trotz aktuell gesunkener Leitzinsen müssen Kreditvergaben aufgrund der gestiegenen Risiken deutlich restriktiver gehandhabt werden. Die Intensive Care Abteilungen der Banken stehen vor der Herausforderung, ob sie angesichts der MaRisk- und Basel-Regularien die Sanierung von angeschlagenen Unternehmen weiterhin wie bisher unterstützen können. Untersuchungen von Banken zeigen, dass Unternehmen, die innerhalb von fünf Jahren nach einer Sanierung erneut Insolvenz anmelden, fast 1,5‑mal häufiger abgewickelt werden. Der Abbau und die Vermeidung notleidender Kredite wird für Banken daher von zentraler Bedeutung. Die Ausreichung neuer Kredite wird sich aufgrund verschlechterter Scoring-Werte verteuern. Diese höheren Kosten werden in die Kreditkonditionen eingepreist, was die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Anbieter auf den Weltmärkten weiter schwächt.
Viele glauben jetzt, dass das Ende des Tunnels irgendwann erreicht sein wird und es danach, wie schon früher, wieder bergauf geht. Doch was diese Optimisten in ihrem naiven Glauben noch nicht berücksichtigen: Die eigentliche Implosion weiter Teile der Wirtschaft steht uns noch bevor. Die Lage spitzt sich von Monat zu Monat, von Woche zu Woche und von Tag zu Tag weiter zu, und die Wirtschaft hat dies bisher noch nicht vollständig diskontiert. Die aktuellen Verwerfungen reflektieren meist nur den allgemeinen Rückgang.
Warum ist das so? Die bevorstehende Insolvenzwelle steht in Korrelation mit einem mangelhaft gestalteten Insolvenzrecht. Durch das Insolvenzrecht, das vielleicht in wirtschaftlichen Schönwetterperioden noch funktioniert hätte, taumelt unsere Wirtschaft direkt in den perfekten Sturm. Die Mängel dieses fehlerhaften, von Interessen geleiteten Gesetzes – anders lässt es sich kaum noch nennen – sind dem Gesetzgeber wohl bekannt. Bereits während der Finanzkrise 2008 und erneut in der Corona-Pandemie wurde auf das Gesetz nicht vertraut und die Insolvenzantragspflicht durch ad-hoc-Entscheidungen zweimal ausgesetzt. In Kombination mit der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank entstanden so volkswirtschaftlich schädliche Zombieunternehmen.
Für ein einzelnes Unternehmen in Schieflage mag das Insolvenzrecht einen zeitlich begrenzten Aufschub bieten. Den Preis für die unzureichende Ausgestaltung dieses Rechts zahlen jedoch alle betroffenen Gläubiger – und letztlich auch die Allgemeinheit. Es schwächt die Eigenkapitalbasis der Unternehmen und mindert damit die Resilienz der noch gesunden Firmen, insbesondere jener, die bald ebenfalls ums Überleben kämpfen werden. Als Folge müssen wir uns auf Wohlstandsverluste und erhebliche wirtschaftliche Turbulenzen einstellen. Es bleibt fraglich, ob die Generationen, die im Berufsleben stehen und an ein sorgenfreies Leben gewöhnt sind, überhaupt in der Lage sein werden, die bevorstehenden Herausforderungen zu bewältigen.
Was ist der Ursprung dieses unausweichlichen Debakels, das uns bevorsteht? Unter der Ägide der damaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, die dem linken Flügel der SPD zugerechnet wird, setzte die rot-grüne Koalition eine grundlegende Novellierung des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Schuldrecht durch, die zugunsten der Schuldner ausgelegt war und am 1. Januar 2002 in Kraft trat. Aus der Unternehmerschaft gab es keinen nennenswerten Widerspruch, da vielen die Tragweite einer Insolvenz oft erst dann bewusst wird, wenn sie selbst betroffen sind. Sie haben vor allem die eigenen Vorteile gesehen – ganz nach dem Sankt-Florian-Prinzip „Verschon‘ mein Haus, zünd’s and’re an“ – und nicht die negativen Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft. Die Absicht, Arbeitsplätze von ins Straucheln geratenen Unternehmen zu retten, fand besonders bei den Gewerkschaften Zuspruch und klang für volkswirtschaftlich weniger informierte Teile der Gesellschaft plausibel. Ohne die langfristigen Wirkungsketten zu bedenken, wurde die seit fast 100 Jahren bewährte Konkursordnung aufgegeben. Getrieben von Partikularinteressen wurden seitdem in der Insolvenzordnung regelmäßig neue Regelungen eingeführt, die zulasten der Gläubiger gehen.
Während der Gesetzgebungsprozesse wurde scheinbar weder geprüft, ob diese Regelungen mit den übergeordneten europäischen Rechtsvorgaben kompatibel waren, noch welche weitreichenden Folgen die Novellierungen in einer größeren Wirtschaftskrise haben könnten. Das sozialistisch motivierte Ziel bestand darin, den Fortbestand von obsoleten Geschäftsmodellen und deren Arbeitsplätzen zu sichern, anstatt insolvente Unternehmen abzuwickeln und an die Gläubiger die ihnen eigentlich zustehenden Erlöse auszukehren. Der übergeordnete Plan war die Sanierung und Restrukturierung – allerdings musste jemand dieses Vorhaben finanzieren. Diese Rolle wurde, im Einklang mit dem Weltbild der damals politisch Verantwortlichen, den ‘bösen’ Unternehmern zugewiesen, also den bisherigen Eigentümern und Gläubigern.
Begeistert wurden die Novellierungen von dem Berufsstand der Insolvenzverwalter und deren Beratern aufgenommen, die in den neuen Regelungen einen erweiterten Zugriff auf die verbliebenen Vermögenswerte und Forderungen bei den Insolvenzfällen erkannten und eine lukrative Ausweitung für ihr Geschäft sahen. Die gesetzliche Grundlage war das erheblich verschärfte Anfechtungsrecht der Insolvenzverwalter. Flankiert von der insolvenzverwalterfreundlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die es Verwaltern immer leichter machte, Gläubiger in die Verantwortung zu nehmen, wurden die Prinzipien der freien und sozialen Marktwirtschaft sowie die Selbstverantwortung und das Verursacherprinzip ausgehebelt – ohne Rücksicht auf die langfristigen Folgen für die Gläubiger. Insolvenzanfechtungen können sich heute auf mehrere Jahre zurückliegende Rechtshandlungen erstrecken. In einigen Fällen können Insolvenzverwalter sogar Zahlungen, die Gläubiger von ihren Schuldnern bereits erhalten haben, rückwirkend bis zu zehn Jahre zurückfordern.
Was war der eigentliche Grundpfeiler für den Erfolg der deutschen Wirtschaft? Es sind nicht immer die besseren Produkte – denn auch andere Länder bieten exzellente Qualität. Toyota baut die langlebigeren Autos, und die Italiener glänzen mit besserem Marketing und Design. Worin liegt also der Grund des Erfolgs? Es war die international anerkannte Zuverlässigkeit des deutschen Rechtssystems und der zweifelsfrei unantastbare Bestand der Eigentumsrechte. Doch aus ideologischen Gründen wurde dies leichtfertig und ohne Not aufgegeben. Sobald man auch nur partiell die Axt an die Eigentumsrechte legt, setzt man den langfristigen Vertrauensverlust in die Rechtsstaatlichkeit in Gang. Das ist eine Sünde gegen den Grundsatz von Treu und Glauben des ehrbaren Kaufmanns – eine Sünde, die nicht verziehen wird.
Dieser staatliche Eingriff in die Marktwirtschaft, vor allem durch das Insolvenzrecht, wird sich bald als verheerend für unsere Volkswirtschaft herausstellen. In diesem Zusammenhang sei die britische Premierministerin Margaret Thatcher zitiert: „Der Sozialismus funktioniert immer nur so lange, bis ihm das Geld anderer Leute ausgeht“.
Ein exemplarisches Beispiel für Fehlallokationen ist der Insolvenzfall Karstadt Quelle, dessen Folgen uns bis heute beschäftigen. Das Unternehmen wurde von der Insolvenzverwaltung Görg, nach Berechnung ihres Honorars in Höhe von 50 Millionen Euro – wie in einem Artikel der WELT vom 29.10.2012 berichtet wurde – mit dem Versprechen, die Kaufhäuser zu erhalten, für einen symbolischen Euro an den Hedgefonds von Nicolas Berggruen verkauft. Der Koblenzer Hochschullehrer und ehemalige Insolvenzrichter Professor Hans Haarmeyer kritisierte das Vorgehen laut der Süddeutschen Zeitung: „Statt die Gläubiger bestmöglich zu befriedigen, versorgt die Abwicklung eines Insolvenzverfahrens offenbar weitgehend nur die Insolvenzverwalter und die mit ihnen verbundenen Strukturen.“
Die damalige Bundesarbeitsministerin und heutige Kommissionspräsidentin der Europäischen Union, Ursula von der Leyen, verkündete in einem medienwirksamen Fernsehauftritt diese Lösung als Erfolg. Nicolas Berggruen, wie er später selbst in einem Interview mit der WELT vom 27.09.2024 zugab, war mit der Aufgabe überfordert und verkaufte, nachdem er wahrscheinlich auch seinen Vorteil gezogen hatte, das Unternehmen an den österreichischen Immobilienspekulanten René Benko weiter. Mit dem neuen Eigentümer Benko ging das Unternehmen erneut in den Ruin, woraufhin die öffentliche Hand mit den von den Bürgern hart erarbeiteten Steuergeldern einspringen musste, um den weiteren Erhalt des Unternehmens zu sichern.
Schwerwiegender in seiner langfristigen Auswirkung ist jedoch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 22. April 2021 (Aktenzeichen C‑73/20 – Oeltrans Befrachtungsgesellschaft), das für den Gesetzgeber einen herben Rückschlag darstellt. Verkürzt dargestellt: Im Zusammenhang mit der Insolvenzanfechtung entschied der EuGH, dass sich ausländische Gläubiger mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat aus Gründen des Vertrauensschutzes auf das Insolvenzanfechtungsrecht ihres Heimatlandes berufen können, wenn die angefochtene Zahlung dort nicht anfechtbar ist. Besonders wirksam ist diese Verteidigung gegen Anfechtungsansprüche beispielsweise für österreichische Gläubiger, da in Österreich Anfechtungsklagen innerhalb eines Jahres nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhoben werden müssen. Häufig hat der Insolvenzverwalter in diesem Zeitraum noch nicht einmal die relevanten Sachverhalte ermittelt.
Dieses EuGH-Urteil eröffnet Unternehmen mit ausländischen Konzerngesellschaften die Möglichkeit, bei entsprechender Vertragsgestaltung Geschäftsvorgänge über Gesellschaften in Ländern abzuwickeln, in denen das Insolvenzanfechtungsrecht für Gläubiger vorteilhafter ist, insbesondere wenn der Geschäftspartner ein unsicheres Zahlungsverhalten aufweist. Diese Ungleichbehandlung verschafft großen Konzernen zusätzliche Wettbewerbsvorteile und stellt einen Affront gegenüber inländischen Gläubigern dar, die nicht von solchen Gestaltungsmöglichkeiten profitieren können.
Diese Anomalie im deutschen Recht, die den erweiterten Zugriff auf bereits erbrachte Leistungen ermöglicht, wird von vielen als Enteignung empfunden. Beispielhaft berichtete uns ein Unternehmer, dass sein Betrieb seit drei Generationen existiere und über 50 Mitarbeiter beschäftige. Im Vergleich zu seinen Mitbewerbern in anderen europäischen Ländern sei sein Unternehmen durch die höchsten Steuern, Abgaben und Energiepreise stark belastet. Seine Wettbewerbsfähigkeit stehe auf der Kippe. Bereits jetzt arbeite er am Limit, und die toxische Kombination aus Forderungsverlusten und dem zusätzlichen Aderlass durch die Insolvenzanfechtung sei für ihn nicht mehr tragbar.
Wenn wir diesen Zustand auf eine mittelfristige Perspektive extrapolieren, bedeutet dies, dass die Wirtschaft und unsere Unternehmen gezwungen sind, das größte Paket an Verlusten zu tragen, welches sich in der Geschichte der freien und sozialen Marktwirtschaft angehäuft hat.
In der Gesamtbetrachtung kann dieses System nur so lange funktionieren, wie immer wieder neue Gläubiger enteignet werden können, indem ihre Forderungen aus bereits erbrachten Leistungen angefochten werden. Sobald das Wachstum an noch zahlungsfähigen Gläubigern stagniert oder nicht mehr genügend neue hinzukommen, droht das gesamte System zusammenzubrechen. Dies würde eine Kaskade von Folgeinsolvenzen auslösen, Existenzen zerstören, Neugründungen verhindern und den Verlust tausender Arbeitsplätze bedeuten.
Mittelfristig wird sich diese so geschaffene Rechtssituation als kontraproduktiv für den Wirtschaftsstandort erweisen. Welcher ausländische Investor wird nach der Bewertung dieser unberechenbaren Rechtslage noch bereit sein, ein größeres Engagement in Deutschland einzugehen? Weitere Details und Analysen zu diesem Thema finden Sie in unserem ausführlichen Video zur Insolvenzanfechtung, das wir unten verlinkt haben.
Mit dem am 1. Januar 2021 in Kraft getretenen Unternehmensstabilisierungs- und ‑Restrukturierungsgesetz (StaRUG) wurde die zwangsweise Beteiligung der Gläubiger auf außergerichtliche Restrukturierungen ausgeweitet. Viele in Schieflage geratene Unternehmen versuchen, sich mithilfe von StaRUG oder ESUG selbst zu sanieren, oder sie beantragen alternativ Insolvenzen in Eigenverwaltung oder im sogenannten Schutzschirmverfahren. Finanziert wird dies auf Kosten der Gläubiger durch Forderungsverzicht, Forderungsverluste und Insolvenzanfechtungen.
Deutschland leistet sich eines der teuersten Insolvenzrechtsysteme der Welt, mit einer der längsten Abwicklungsdauer. Wenn der Gesetzgeber Möglichkeiten zur Bereicherung schafft, werden diese auch genutzt – und genau das ist passiert. Die Zahl der Juristen, die sich einen Teil dieses lukrativen Geschäfts sichern wollen, wächst stetig. Etablierte Akteure können zufrieden zusehen, während Neueinsteiger in einem harten Wettbewerb um die lukrativsten Insolvenzfälle bei den zuständigen Gerichten antechambrieren.
Die vom Gesetzgeber durchgeführten Novellierungen des Insolvenzrechts verschärfen die ohnehin schon prekäre Lage der Wirtschaft weiter. Das bestehende Insolvenzrecht hat die Gesamtwirtschaft auf einen holprigen Weg geführt. Der Fortbestand des Gesetzes in seiner jetzigen Form ergibt daher keinen Sinn mehr.
Obwohl die in der Insolvenzbranche Tätigen die möglichen Konsequenzen ihres Handelns eigentlich erkennen sollten, werden diese ignoriert. Solange das System funktioniert, wird am bestehenden Vorgehen festgehalten. Man passt sich den Gegebenheiten an und bleibt in bewährten Denkstrukturen. Der Ökonom und Chefvolkswirt Folker Hellmeyer von der Netfonds AG stellt fest: „Die Verantwortlichen für den Abstieg Deutschlands wollen natürlich nicht die Konsequenzen ihres Handelns erfahren. Vielleicht sehen wir deshalb aktuell so viel Framing, um ihre Besitzstände zu sichern. Aber das ist weder im Sinne der Öffentlichkeit noch im Sinne des Staates, geschweige denn im Sinne der Demokratie“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Dieses Problem hätte schon vor Jahren an die zuständigen Bundesministerien adressiert werden müssen. Die Entscheidungen, die zu dieser unausweichlichen Katastrophe geführt haben, wurden bereits vor langer Zeit von den Verantwortlichen getroffen. Fakt ist, dass selbst wenn das Ruder jetzt noch schnell herumgerissen würde, der Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt in existenzielle Bedrängnis gerät. Und wenn die deutsche Volkswirtschaft abstürzt, hat das dramatische Folgen – nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa.
Die durch die Insolvenzanfechtung ausgelöste Erosion der Eigenkapitalausstattung, die sich zunehmend auf immer mehr Folgegläubiger ausbreitet, bewirkt für viele Marktteilnehmer – und für die Öffentlichkeit zunächst unsichtbar – einen finanziellen Schwelbrand, der sich nach und nach durch die deutsche Volkswirtschaft frisst. Die Kette der Insolvenzen setzt sich von Unternehmen zu Unternehmen fort, während sich das Feuer der Krise immer wieder selbst entfacht. Es lässt sich voraussehen, dass dieser Verlauf letztlich in einem verheerenden Flächenbrand münden wird, der zahlreiche Unternehmen in den Ruin stürzt. Es ist schwierig, den genauen Zeitpunkt des Kipppunkts zu bestimmen. Eines jedoch steht fest: Er wird kommen – wir wissen lediglich noch nicht, wann genau.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie warnt eindringlich vor einer Deindustrialisierung. Im Vergleich zu früheren Krisen besteht heute ein Ungleichgewicht: Vorwiegend international tätige Unternehmen können auf attraktivere Standorte ausweichen – oder haben dies, wie die Beispiele BASF, Miele oder Stihl zeigen, bereits getan. Das spiegelt sich deutlich in den Höchstständen des DAX wider, denn die dort gelisteten Unternehmen sind fast ausnahmslos global aufgestellt. Es zeigt sich eine wachsende Divergenz zu den national tätigen Unternehmen, die immer noch den Großteil der Wirtschaft ausmachen. Diese Firmen können sich dem Aderlass nicht entziehen. Wenn nicht bald grundlegende Änderungen erfolgen, wird dieser Prozess kaum noch aufzuhalten sein.
Die national tätigen Unternehmen befinden sich auf einer völlig anderen Abstraktionsstufe. Sie prüfen die wenigen verbliebenen Optionen, denn für viele stellt sich mittlerweile die Überlebensfrage. Ein in Deutschland tätiger Unternehmer muss verschiedene Szenarien durchspielen: Kann die Produktion noch angepasst werden? Gibt es ungenutzte Optimierungspotenziale? Monokausale Handlungsmuster, die in der Vergangenheit oft erfolgreich waren, greifen heute jedoch nur noch bedingt. Marktzyklen verhalten sich anders als früher, und der klassische Rebound nach einer Marktschwäche bleibt häufig aus.
Was wir dieses Mal sehen, ist, dass die aktuellen Krisen viel tiefgreifender und umfassender sind als frühere. Deshalb müssen auch andere, neue Maßnahmen ergriffen werden, um diesen Herausforderungen zu begegnen.
Wenn die Belastungsgrenze erreicht ist und jede Hoffnung verloren scheint, bleibt Unternehmen oft nur noch die Entscheidung, den Betrieb aufzugeben oder den Standort zu verlagern. Unternehmen stimmen mit den Füßen ab, denn bei der Abwägung aller Umstände ist der Standort Deutschland in der aktuellen Situation weder attraktiv noch wettbewerbsfähig. Die Abwanderung und die Betriebsaufgaben, die wir bereits in vielen Branchen beobachten, sind in vollem Gange. Gesamtwirtschaftlich betrachtet, ist es wahrscheinlich bereits zu spät, um diese Tendenz noch aufzuhalten.
Missmanagement und Zahlungsprobleme haben fast immer kaufmännische Ursachen. Daher liegt es nahe, dass diese Probleme am besten von Kaufleuten selbst gelöst werden sollten – weniger juristisch, sondern vielmehr marktwirtschaftlich orientiert. Ein Rückblick auf das Vorbild der hanseatischen Kaufleute könnte hilfreich sein, für die es Ehrensache war, ihre Angelegenheiten untereinander zu regeln. Dies ist ein lohnenswerter Ansatz, der ohne Denkverbote in Betracht gezogen werden sollte. Dafür sind jedoch völlig neue Strukturen erforderlich.
Um die entstandenen Rechtsstaatsdefizite einzudämmen, ist die Politik jetzt in der Verantwortung, schnell nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Statt weiterhin die völlig missratene, sozialistisch geprägte Novellierung des Insolvenzrechts zu reparieren, wäre ein kompletter Reset einfacher und schneller umsetzbar. Der zentrale Punkt ist, wie man die bestehenden Strukturen reformieren und die Branche der Insolvenzverwalter sowie die dazugehörigen Berater besser regulieren kann. Ein Lösungsansatz wäre, die Insolvenzverwalter auf ihre Unabhängigkeit und gewissenhafte Durchführung im Verfahren zu vereidigen.
Die Zeit volkswirtschaftlicher Experimente ist vorbei. Die Erfüllung rechtskräftig abgeschlossener Verträge muss bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung wieder uneingeschränkt Bestand haben. Die Benachteiligung deutscher Gläubiger innerhalb der Europäischen Union muss endlich ein Ende finden. Das Recht zur finanziellen Aushöhlung von Unternehmen durch Insolvenzanfechtungen, vollzogen durch Insolvenzverwalter, sollte ersatzlos abgeschafft werden. Um insolvente Unternehmen sollte ein Schutzmechanismus, ein Cordon Sanitaire, gelegt werden, um zu verhindern, dass gesunde Marktteilnehmer durch insolvente Unternehmen weiter geschwächt werden.
Bestehende Unternehmen dürfen nicht länger durch ein kontraproduktives Insolvenzrecht ausgezehrt werden. Ihr Erhalt und ihre Kapitalausstattung müssen geschützt werden. Das Eigenkapital eines Unternehmens ist kein Selbstzweck, sondern notwendig, um das Fortbestehen zu sichern. Unternehmen bilden das Fundament unserer wirtschaftlichen Existenz, denn das gesamte Steueraufkommen wird durch sie generiert. Viele glauben, dass der Staat einspringen wird, wenn es schlecht läuft. Doch der Staat kann nur verteilen, was er zuvor an Steuern eingenommen hat.
Im Interesse des Gemeinwohls muss erkannt werden, dass die Grenzen des Insolvenzrechts überschritten wurden. Es ist an der Zeit, den Klassenkampf zu überwinden und den Fortbestand der verbleibenden Unternehmen zu stärken und zu schützen. Dies kann nur durch eine sofortige Neuausrichtung des Insolvenzrechts erreicht werden.
Sind Sie von einer Insolvenzanfechtung betroffen? Teilen Sie uns doch Ihre Erfahrungen über das Kontaktformular mit.
Bitte kontaktieren Sie uns auch, wenn Sie einen konkreten Fall für eine öffentliche Versteigerung haben: Zum Kontaktformular
Video: Zeitbombe Insolvenzanfechtung
Buchempfehlungen: Friedrich A. Hayek “Der Weg zur Knechtschaft”: https://amzn.eu/d/hZzCbR4
Carlos A. Gebauer “Warnung vor der Knechtschaft”: https://amzn.eu/d/d3tuhuV
Ludwig Erhard “Wohlstand für Alle”: https://amzn.eu/d/jm3szUK